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  • AutorenbildOlivia Grove

[𝗚𝗮𝘀𝘁-𝗥𝗲𝘇𝗶] Sophie Passmann: Pick me Girls | Rezension - Gastbeitrag von Rezensurensohn

《 R E Z I - Gastbeitrag von Rezensurensohn 》

Sophie Passmann: Pick me Girls | Rezension - Gastbeitrag von Rezensurensohn

Sophie Passmann: Pick me Girls

VÖ: 07. September 2023, Kiepenheuer und Witsch • •

La Groves Meinung:

Warum ein Buch von Sophie Passmann lesen, wenn man es auch lassen kann?! Da mich bereits "Komplett Gänsehaut" mit einer überbordenden, irrelevanten Inhaltsleere enttäuscht hat, wollte ich mir nicht erneut die Finger verbrennen ...


 

Schnallt euch an!

Es folgt eine Gastrezension von the one and only REZENSURENSOHN!


Sophie Passmann - Pick Me Girls

(Das ist Englisch und bedeutet "Wähl mich aus-Mädchen", nicht zu verwechseln mit dem Geschlechtsverkehr, Jungens.) Das Cover ist schonmal sehr ansprechend. Beinhaltung wie ein demolierter Campingstuhl. Rot als Blickfang, passt. Hat was filmplakatiges. Warum ein Buch von Sophie Passmann lesen, wenn man es auch lassen kann, fragt ihr euch jetzt sicher und klar hat diese Frage ihre Berechtigung.

Trotzdem wollte ich dieses Buch lesen, und zwar aus folgenden Gründen: 1. Glaube ich nicht, dass Pick Me Girls in dieser Form existieren und 2. Sophie Passmann sich über Jahre hinweg zum beliebtesten Pick Me Girl männlicher, mediokrer Promis gemacht hat. (Was auch sehr gut mit ihrem Vorwort extra für Männer harmoniert)


Ich habe überhaupt kein Problem in feministischen Sachbüchern mitgemeint zu sein. Ich freue mich darüber. Aber man muss mir nicht verbal den Sack mit Honig einreiben auf dermaßen offensichtliche Art. Na gut, manche mögen es bestimmt.

Partytime also für einen Rezensenten wie mich, der ein Buch auch gerne mal verreißt. Beginnen wir doch mit dem Begriff an sich. "Pick Me Girls" bezeichnet heute allgemein Frauen, die sich patriarchal-männliche Eigenschaften aneignen, um die Möglichkeit einer Partnerschaft zu erhöhen und den Widerstand aufgrund eigenen Charakters und als "weiblich" gelesener Attribute möglichst gering zu halten.

Womit wir direkt zum ersten Problem kommen:

Im Gegensatz zum Cover nämlich ist dieses Buch komplett schwarzweiß. Die angebotenen Rollenmodelle beziehen sich allenfalls auf die persönlichen Eindrücke von Frau Passmann und bewegen sich zum Großteil nicht im Jahr 2023. Einerseits ist es natürlich verständlich, dass es ihr nur möglich ist, ihre eigene Perspektive einzunehmen, andererseits ein wenig unzeitgemäß und in der Blickrichtung beengt.

Denn wenn die Adaption scheinbar typisch männlichen Verhaltens die Frau zum Pick Me Girl macht, wie relevant ist dann 2023 noch der Begriff, weil "typische" Verhaltensweisen auf dem absteigenden Ast sind? Und, wenn Männer nun feministische Begriffe adaptieren und sich damit identifizieren, um sich vom typischen Patriarchalo abzugrenzen, sind sie dann Pick Me Boys? Fragen über Fragen. Und keine Antwort 🤣

Wir können nicht einerseits versuchen, Muster aufzubrechen, andererseits aber mit einer separierenden Keule daherkommen, die größtenteils auf unseren eigenen, offenbar spärlich verarbeiteten, Erlebnissen als Teenager beruht. Generell ist die eigene Adoleszenz großer Bestandteil des Buches, was vor allem die Erkenntnis bringt, dass jeder, auch die beliebten Leute, ihr Päckchen zu tragen hatten. Jeder von uns wird sich so oder so ähnlich in Passmanns Beschreibungen wiederfinden, was das gesamte Buch ein wenig zugänglicher erscheinen lässt.

Apropos zugänglich: Seite 26. Das Wort "Streite" gibt es nicht. Das sind die falschen Pluren. Es heißt Streits. Oder Streitae. Streitii. 🤣 Überraschend, aber das Eingeständnis von Passmann, ein Pick Me Girl zu sein. Es ist schwer, etwas zu dekonstruieren, wenn tatsächlich eine Selbstreflexion vorliegt, wie in diesem Fall und ich halte der Autorin ihre Offenheit sehr zugute. Was die Anpassung an Rollen und deren Adaption angeht, liegt die Schuld oft allein bei einer einzigen Prämisse: Letztlich wollen wir alle Liebe. Das ist so scheiße einfach. Wir wollen jemanden, der es irgendwie geschissen kriegt, uns in unserer ganzen, kolossalen Weirdness zu ertragen. Das erfordert Kompromisse. Hin und wieder leider mehr, als wir zu akzeptieren bereit sind. Die nagenden Selbstzweifel mit der von außen aufoktroyierten "Du bist zu jedem Zeitpunkt der geilste Mensch, den es gibt und jeder, der deine grandiose Perfektion nicht zu würdigen weiß, hat dich nicht verdient"- Mentalität gepaart, sorgen nicht nur für Frustration und Einsamkeit, sie verkennen auch die Tatsache, dass wir eben doch größtenteils verschlafene Kartoffelsäcke kurz vor dem Zusammenbruch sind, die einfach nur mal ein paar Sekunden in den Arm genommen werden möchten und mit sanfter Stimme gesagt bekommen möchten, dass alles gut wird. Sogar ich. Sehr.

Stattdessen flüchten wir uns in das, was naheliegend und sinnvoll erscheint und ja, auch ich war schon in der Meredith Grey Pick Me Position und habe verzweifelt versucht, meine paar Charakterpunkte zu so etwas wie Glück zu machen.

Mit den Serien macht Passmann ohnehin ein ganz schwieriges Fass auf und ihre Rhetorik zündet leider nicht ganz. Natürlich sind Menschen außerhalb von Serien unglaublich langweilig und die wenigsten stechen aus der Menge heraus. Trotzdem können wir aus Serien lernen und Mechanismen mitnehmen, die durchaus dazu taugen, sie in die Realität zu übertragen. Für Männer nehme ich jederzeit gerne Magnum als Beispiel.

Pick Me Girls sind am Ende die Frauen, die sich in einer Art sexuell aufgeladener Bro-Zone befinden, in der nichts verbindlich ist, außer zu festen Zeiten primäre und sekundäre Geschlechtsorgane. Und das ist für niemanden angenehm, außer für den Kerl, für den man sich selbst runtergedimmt hat, bis es Innen ganz schön dunkel wird. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Es gibt niemals von allem 100%.

Der Grund (zumindest meine bescheidene, nicht zwingend zu berücksichtigende Ansicht), warum Männer auf Pick Me Girls zurückgreifen, sind schnell greifbare Endorphine, ähnlich einer Tafel Schokolade sowie eine nicht unerhebliche Verschiebung im Bereich der Adoleszenz: Sie setzt bei uns oft nicht ein. Das macht sich nicht gut in einer Beziehung, in der Frauen auf einmal davon reden "gemeinsam zu wachsen" und sich "zu entwickeln".

Ich will nicht "wachsen" und nicht "entwickeln". Ich bin weder ein Bruttoinlandsprodukt, noch ein Pokémon und erst recht kein mehrjähriges Sozialprojekt. Ich möchte in meiner eigenen Alexigkeit Alex sein können. Auf Seite 99 wird diese Erwartung mit schöner Deutlichkeit bestätigt. Ich bin für mehr gelebte "Come as you are"-Mentalität. Körperlich, seelisch, charakterlich. Wir alle müssen Raum fordern und besetzen. Es sollte völlig Hupe sein, ob ich mit 30 Baggy Pants trage, mindestens ebenso egal sollte es sein, dass sich Sophie Passmann Schlangengift ins Gesicht spritzen lässt.

Wenn man aussehen möchte, wie das Testimonial von Kinder Schokolade ist das nicht mein Business, sondern ihres. Ich laber ihr doch da nicht rein.


Ich kenne 99,99% der Menschen nicht. Ich werde Sophie Passmann nie begegnen. Es gibt keinen Grund für mich, irgendwas an ihr zu bewerten außer den Büchern, die ich gelesen habe. Warum sollte ich. 🤷🏻‍♂️ Solange es eine autark getroffene Entscheidung ist.

Das blöde ist, dass es bei Sophie Passmann offenbar nie jemanden gegeben hat, der ihr gesagt hat: "Sophie, ich weiß, du hast deine Gründe, aber du musst den Scheiß nicht mehr machen, wenn du nicht willst." Nicht einmal sie selbst. Und das ist irgendwie sad.🤷🏻‍♂️

Man kann sich Selbstwert nicht in die Stirn spritzen lassen und nicht aus der Sektflöte saufen. Das ist etwas Intrinsisches. Es kommt aus der Gewissheit heraus, mit sich okay zu sein. Unabhängig davon, was andere denken. Das ist unglaublich schwierig, aber nicht unmöglich.

Leider ist das nur die erste Hälfte des Buches. Tut mir leid, kommt nicht mehr viel. Gilt auch für das Buch.

Die ständigen Versuche, sich nebulös durch die eigene Kindheit zu aiwangern und 90% davon quasi von der Festplatte gelöscht zu haben, macht die Gegenwart auf eine Art und Weise flexibel, die selbst für die Autorin zu viel Interpretationsspielraum zulässt.

Als Erwachsene wird diese Rückbesinnung dann schon schwieriger und das Patriarchat muss in aller Drastik als charakterformend dargestellt werden. Weil sonst wäre sie ja nicht so. Statt also einfach zu sein, wird permanent nach Gründen gesucht, eben nicht zu sein und wenn doch, dann wenigstens nicht man selbst.

Sophie Passmann hat dieses Buch laut eigener Aussage geschrieben, weil sie selbst es sich als Vierzehnjährige gewünscht hätte. Ich hätte das Buch mit vierzehn nicht verstanden. Sophie Passmann mit 14 hätte sich also eine selbstmitleidige Dreißigjährige gewünscht, die sich selbst mehr Charaktere draufgeschafft hat, als ein JRPG und vor Vierzehnjährigen ängstlich davonläuft. Na großartig. Sophie Passmann bleibt in ihrem Handeln und in ihren Aussagen, was sie für mich immer war: Ungreifbar ambivalent. Eine Blaupause. Solltet ihr übrigens nach Feminismus suchen, nach Dingen, die ihr noch nicht wusstet oder nach echter Introspektive, die ihr noch nicht 1:1 selbst erlebt habt, spart euch die 22 Euro.

Es gibt in diesem Buch wenig Feminismus. (Meine Meinung. 🤷🏻‍♂️)


Das liegt natürlich auch an Passmanns Prämisse, diesen als Abwertung und als Wettbewerb zu dekonstruieren, was jetzt nun mal nur in Nuancen klappt, denn es gibt keinen Emotionskommunismus.

Es bleibt leider in den meisten Fällen dabei, dass Frauen den männlichen Blick ebenso selten verstehen, wie Männer den weiblichen, aber ich rechne dankbar jeden Vermittlungsversuch an. Denn in ein paar Jahrzehnten wird es da gar nichts mehr geben, das passt, weil wir uns alle bis auf die Knochen unserer Individualität runterreflektiert haben und nicht mehr sind als debil grinsende Kleiderpuppen.


Und deshalb musste ich dieses Buch lesen! 🤷🏻‍♂️ Ich steige aus - vor den unglaublich däm... Geschichten über sexuelle Belästigung und Hobbies - 20 Seiten vor Ende.

Ich bleibe bei gut gemeinten 2,5 von 5.

Erschienen bei Kiepenheuer und Witsch.



2,5 ⭐


 

Ein großes DANKE geht an den Betatester Rezensurensohn - du hast dafür gesorgt, mehr Klarheit ins nebulöse, ungreifbar ambivalente Schwarzweiß zu bringen.


 


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кℓαρρєηтєχт:

// Sophie Passmann hat mit »Pick me girls« nicht nur ihr persönlichstes Buch geschrieben, sondern auch eine kluge Auseinandersetzung mit dem männlichen Blick. Ihr Memoir zeichnet ein stellvertretendes Frauenleben nach und wirft die Frage auf: Welche Version von ihr selbst hätte Sophie Passmann sein können, wenn das Patriarchat nicht existieren würde?

»Ich bin nicht so wie andere Frauen«, ist der typische Satz eines pick me girls. Wahrscheinlich haben die meisten Frauen diesen Satz mal gedacht, nicht nur in der unbewusst-misogynen Abgrenzung zu einem ganzen Geschlecht, sondern als Herabwürdigung des eigenen Selbst – man ist nicht so dünn und hat keine so gute Haut wie alle anderen Frauen. Wenn man als Frau geboren wird, kommen die Selbstzweifel ab Werk. Spätestens in der Pubertät wird man mit der goldenen Regel konfrontiert, die zwar nirgendwo geschrieben steht, aber als allgemeingültig gilt: Der männliche Blick, das Begehrtwerden ist die höchste Währung.
Warum wir alle pick me girls sind und welche Unmöglichkeiten Sophie Passmann und höchstwahrscheinlich auch jede andere Frau im Laufe ihres Lebens ertragen muss, das seziert Sophie Passmann so scharf und klug wie keine andere. //
 
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