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Aria Aber: Good Girl | Rezension

Autorenbild: Olivia GroveOlivia Grove

《 R E Z I 》

Aria Aber: Good Girl     VÖ: 27.02.2025 bei claassen
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Aria Aber: Good Girl   

Erschienen am 27. Februar im Claassen Verlag. • •

Elektrisierend, kaleidoskopisch, poetisch-deep – aber auch langatmig & politisch 


Wenn es nicht schon Raven Leilani gesagt hätte, wären meine ersten Worte zu diesem Roman wohl ähnlich ausgefallen: „Kaleidoskopisch… reich an Stil und Schönheit.“ Doch die 397 Seiten fühlten sich für mich mindestens 100 Seiten zu lang an – und teilweise leider auch zu politisch. 


Aria Abers Debütroman „Good Girl“ erzählt die Geschichte der 19-jährigen Nila, Tochter afghanischer Flüchtlinge, und ihres Jahres in den Nachtclubs des hedonistischen Berlins der 2000er.  


Eine vibrierende Story über Liebe, Familie und Herkunft, über die Techno-Szene, Drogen, Kafka und Lügen – darüber, wie man nächtelang durchmacht und die Fehler der Jugend in einer traditionellen Familie überlebt. 

 

„[...] und ich wurde von dem Drang zerfressen, mein Leben zu ruinieren.“ (S. 9) 

 


Stereotype ohne Tiefe 


„Unsere Eltern taten uns an, was ihre Eltern ihnen angetan hatten, und so würde es immer weitergehen.“ (S. 79)  

Diese nüchterne, fast resignierte Sprache spiegelt den generationenübergreifenden Kreislauf von Gewalt, Traumata und der Normalisierung von Missbrauch wider – eine Reflexion, die in der Geschichte von Nila tief mitschwingt. 

 

Doch was mich an Aria Abers „Good Girl“ wirklich irritiert, ist, dass arabische Staaten des Nahen und Mittleren Ostens (hier Afghanistan) als gewalttätig und „traditionell“ und der Westen als „modern“ dargestellt wird, ohne hinter diese Klischees zu blicken.  


Eine tiefgründigere Erzählerin hätte den Zusammenhang zwischen der Gewalt, die Nila sowohl in ihrer afghanischen Familie als auch mit ihrem weißen Partner Marlowe erlebt, ergründet und gezeigt, dass Gewalt kein kulturelles, sondern ein menschliches Problem ist. Stattdessen bleibt die Autorin in einer oberflächlichen Trennung von Ost und West stecken und versäumt es, diese stereotype Kluft zu hinterfragen und zu überwinden. 

 


Flache Charaktere und ein unausgewogenes Spiel 


Auch stört mich die eindimensionale Darstellung der People of Color, während ihre weißen Freunde – letztere werden mit einer unerträglichen Komplexität auf ein Podest gestellt – kaum voneinander zu unterscheiden sind. 

Dabei verliert sich der Roman in einigen unglaubwürdigen Erzählklischees und Wiederholungen, die mich nach einer Weile nur noch ermüdet haben. 

 

⚠️Triggerwarnung zum Buch: Thematisierung von Drogenkonsum, Missbrauch, toxischen Beziehungen ⚠️


Techno, toxische Beziehungen und die Suche nach Identität

 

„Tiefe Bässe hallten von den Wänden, stiegen vom Boden auf: ein wummernder, archaischer, böser Herzschlag.“ (S. 64) 

 

Nila stürzt sich ins Berliner Nachtleben, vor allem ins Berghain – ja, ein Klischee, aber es wird sehr intensiv erzählt. Vielleicht zu intensiv. Denn manchmal ist das nihilistisch-hedonistische Fließband der Ausschweifungen so formuliert, als ob die Autorin selbst davon gelangweilt wäre. Die beschriebenen Exzesse werden von einer gewissen Gleichgültigkeit und Leere begleitet, als würde das Feiern nicht aus Lebenslust, sondern aus zielloser Verzweiflung oder Selbstzerstörung geschehen. 

 

Dabei konsumiert Nila regelmäßig Drogen, doch erstaunlicherweise fehlt jede tiefere Auseinandersetzung mit den psychologischen Konsequenzen dieses Konsums. 

Sucht als bloßes dramaturgisches Story-Element ohne psychologische Tiefe?  

Ihre Flucht in den Rausch erscheint beiläufig, fast mechanisch, aber nie suchtgetrieben, nie mit einem Drang oder Entzug verbunden. Im Roman existiert keine Endlosschleife aus Kicks und Abstürzen. 


Das macht Nilas substanzgeladene Partynächte paradox und unrealistisch: Sie ravt und ballert sich durch Friedrichshain, aber ohne den Kontrollverlust oder die Abhängigkeit, die ein solcher Lebensstil im chemischen Overload oft mit sich bringt. 

Wie könnte jemand wirklich mit diesem problematischen Konsum leben, ohne jemals von der Suchtspirale überwältigt zu werden?


„Der Zauber der vergangenen Nacht rann wie Sand durch unsere Hände. Wir konnten die Magie nicht konservieren, es war Sonntagnachmittag, und wir hatten Angst, wieder in unseren eigenen Köpfen zu versinken.“ (S. 74) 

 

Ebenso im Zentrum des Romans steht die toxische Beziehung zwischen Nila und dem süchtigen Künstlertyp Marlowe, einem ihr um einiges älteren amerikanischen Schriftsteller, der sich gern an junge Frauen hängt, um seinen egozentrischen Hunger zu stillen. Doch der Text macht daraus mehr als bloße Manipulation: Es ist ein vielschichtiges Spiel aus Macht, Schmerz, Erniedrigung und Selbstzerstörung. Ich empfinde es so, als würde Nila sich bewusst bestrafen wollen – für ihre eigenen Schwächen oder das, was sie dafür hält. Doch hinter der düsteren Dynamik liegt ein verzweifelter Wunsch nach Ausdruck, nach Kunst, nach etwas Größerem als Partys und zerstörerischer Liebe: nach einer Identität jenseits von Scham, Schuld und Tradition.  

 

Jedoch ist die Integration des Missbrauchs, der später im Buch thematisiert wird, vorhersehbar, dabei weder subtil noch klug inszeniert. Mir bleibt der Eindruck einer verpassten Gelegenheit, dieses sensible Thema auf eine wirklich tiefgreifende Weise zu durchdringen. Es ist schade, denn die Protagonistin hat das Potenzial, weit mehr zu sein, als diese flachen Tropen. 

 


Familiäre Erwartungen und innere Zerrissenheit 


Nila kämpft nicht nur mit einer toxischen Beziehung, sondern auch mit dem erdrückenden Gewicht familiärer Erwartungen. Sie fühlt sich verpflichtet, das titelgebende „gute afghanische Mädchen“ zu sein, während sie gleichzeitig die Last des Flüchtlingsschicksals ihrer Eltern trägt – einst angesehene Ärzte, die nun im Hochhäuser-Ghetto der Gropiusstadt in Neukölln ums Überleben kämpfen. 

 

„Und all das Hässliche ist wahr. Wir wurden in einen Albtraum aus brutalistischem Beton und Arbeitslosigkeit geschleudert, eingeengt in einem vierzehnstöckigen Gebäude [...]“, das selbst nach einem Jahrzehnt noch unter Nilas Haut schimmert, wie eine ätzende Substanz. (S. 41) 

 


Fazit: Ein leuchtendes Debüt mit Schwächen 


„Good Girl“ ist ein beeindruckendes Werk voller poetischer Bilder und hervorragender Passagen. Die Szenen sind reich an Fantasie und scharf beobachtet. Ein Debüt, das bewegt, herausfordert und mich fasziniert hat – trotz (oder gerade wegen) seiner Ecken und Kanten.  


Vermisst habe ich dagegen ungeheuer einfallsreiche Wendungen und eine enorm charismatische Nila mit lebendigem Blick, die aus einer interessanten, gelebten Erfahrung heraus schreibt.   


„Good Girl“ will Wildheit und Intellektualität ausstrahlen, und tiefgründig wie ein philosophisches Manifest sein. Doch manchmal wirkt es eher wie eine Pose, wie ein Tumblr-Post, der cool oder deep wirken will, aber eigentlich nur Klischees bedient. 


Die Geschichte wird aus der Rückschau erzählt, doch für mich bleibt diese Perspektive seltsam flach. Es fehlt an Reibung, Reflexion und einer spürbaren Entwicklung zwischen damals und heute. 


Und dennoch: Nilas innere Zerrissenheit ist so greifbar, ihre Widersprüche so authentisch, dass ich nicht aufhören konnte zu lesen.  

 

„Bis zu diesem Zeitpunkt glaubte ich, dass wir, gerade weil wir diese Dinge ablehnten, so sehr in der Parallelwelt versanken, die wir uns aus Techno und Drogen konstruiert hatten. Meine hedonistische Seele rebellierte gegen einen Nine-to-five-Job, ein Reihenhaus, Eltern mit Kind.“ (S. 177) 




⭐⭐⭐,5





Klappentext: Aria Aber: Good Girl     VÖ: 27.02.2025 bei claassen


Vita von Aria Aber

Aria Aber ist in Deutschland geboren und aufgewachsen und lebt derzeit in Los Angeles. Ihr erster Gedichtband Hard Damage (2019) gewann den Prairie Schooner Prize. Die ehemalige Stegner-Stipendiatin, Empfängerin des Whiting Award 2020 und derzeitige Doktorandin an der USC veröffentlichte ihre Gedichte unter anderem in The New Yorker, New Republic, The Yale Review, Narrative und POETRY.


Aria Aber

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кℓαρρєηтєχт:

//     In alten Kellerhallen, in denen der Techno die noch von der Gewalt des letzten Jahrhunderts gezeichneten Wände zum Beben bringt, trifft die 19-jährige Nila auf Gleichgesinnte.  Man legt die Lines, während man den Sozialismus predigt, und für Nila ist dieser dunkle Massenkörper der Ausweg aus dem Berliner Plattenbau, in dem wie sie nur Geflüchtete leben, wo die Toiletten von Silberfischen befallen und die Wände mit Hakenkreuzen beschmiert sind.  
Nur im Rausch entkommt sie der Erinnerung an die tote Mutter, einst große feministische Revolutionärin, heute nur noch ein letztes Aufblitzen in den Augen des lebensmüden Vaters. Für jeden, der sie fragt, ist ihre Familie griechisch, nicht afghanisch.  
Und dann lernt Nila den amerikanischen Schriftsteller Marlowe Woods kennen, der ihr, die immer schreiben wollte, eine Welt von Mäzenen und Festivals eröffnet. Marlowe teilt großzügig, doch schon bald folgen Gegenforderungen und Ansprüche, die die Grenzen des Erträglichen für Nila weit überschreiten.  
GOOD GIRL von Aria Aber ist ein ekstatisch wummerndes Loblied auf die verlorenen Intimitäten der Jugend. Ein virtuoser Debütroman und das erschütternde Porträt einer jungen Künstlerin, die in einen Strudel von Sex, Drogen, Gewalt, aufbrechender Freundschaft, sich verlierender Familie und Trauer gerissen wird.  //


 

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