top of page

Laura Wiesböck: Digitale Diagnosen: Psychische Gesundheit als Social-Media-Trend | Rezension

Autorenbild: Olivia GroveOlivia Grove

《 R E Z I 》

Laura Wiesböck: Digitale Diagnosen: Psychische Gesundheit als Social-Media-Trend  Erschienen am 28. Januar 2025 im Paul Zsolnay Verlag. 
▷ Du willst direkt zum Buch? Klick auf das Cover!

Laura Wiesböck: Digitale Diagnosen: Psychische Gesundheit als Social-Media-Trend

Erschienen am 28. Januar 2025 im Paul Zsolnay Verlag • •


Online-Diagnosen zwischen Enttabuisierung, Glamourisierung & Kommerzialisierung



„Typisch ADHS!“, „Sad Girl Culture“, „Anxiety-Chic“ und Depressionsromantik – psychische Gesundheit ist in der digitalen Welt längst mehr als nur ein Thema, sie ist ein Trend. Doch was steckt hinter diesem Hype?


Laura Wiesböcks Buch setzt auf eine kritische Perspektive, doch für meinen Geschmack fehlt es an einer vielfältigeren Betrachtungsweise. Ein Blick auf die positiven Aspekte der Online-Communitys hätte die Analyse nicht nur abgerundet, sondern auch anregende Blickwinkel eröffnet.



Image und Fetischisierung des „Beautiful Damaged Girl“


Das „Beautiful Damaged Girl“-Image aus Filmen wie Tote Mädchen lügen nicht und Euphoria stilisiert psychische Abgründe zu ästhetischen Inszenierungen, in denen Schmerz schön, Zerstörung faszinierend und Trauma fast begehrenswert wirkt. Melancholie wird zur mystischen Aura, Depressionen zum „verführerischen“ Makel.


Statt roher Realität servieren sie ein visuell perfektioniertes Leiden, das mehr Kunstwerk als Warnung ist. Die Fetischisierung mentaler Krisen verwandelt reale Verzweiflung in ein glamouröses Narrativ, das vor allem für Jugendliche gefährlich anziehend, aber fatal verzerrt ist.


»Psychische Krankheiten sind düster. Die Gedanken, die ich habe, würden den Durchschnittsmenschen erschrecken, und das gilt für viele Betroffene.« (S. 36)



Seelische Krisen werden als Identitätsmarker inszeniert – cool, tragisch, aber bitte Instagram-tauglich.


Statt auf die Schwere und Komplexität von Angststörungen oder Depressionen hinzuweisen, werden sie in stylische Slogans und Accessoires verpackt, die eher Statements als ernsthafte Auseinandersetzungen sind:

Shirts mit Sprüchen wie »Cute but Psycho«, »ADHD – Highway to ›hey look a squarrel‹«, »Borderline Crazy«, »I have OCD, but I only clean things when I'm in the mood because I'm also bipolar« oder kristallbesetzte „Anxiety“-Haarspangen verwandeln mentale Tiefs in trendige Lifestyle-Elemente.



Selbstdiagnose als Identität?


»Eine aktuelle psychiatrische Studie zeigt hierzu: Unter den hundert beliebtesten Videos über ADHS auf TikTok sind mehr als die Hälfte irreführend (»misleading«), die Mehrheit stammt von Personen ohne formalen medizinischen Abschluss.« (S. 17)


ADHS, Borderline, Anxiety – Diagnosen werden zur digitalen Identität.

Soziale Medien verwandeln psychische Krankheiten in ein digitales Aushängeschild – eine Art schillerndes Identitätsmerkmal mit Community-Bonus. In dieser selbstdiagnostischen Online-Kultur wird die Diagnose zur Selbstpräsentation, Trauma zur Eintrittskarte in eine virtuelle Gemeinschaft.


Teenager schmücken ihre Profilbeschreibungen und Kurzbiografien mit psychiatrischen Diagnosen, als wären sie Orden für erlebtes Leid.

Wer eine Diagnose teilt, gehört dazu – ein Like, ein Kommentar, ein Gefühl von Verständnis.



Die neue Ästhetik des Leids


»Es mag befremdend wirken, dass jemand in einem derart hilflosen emotionalen Moment die Geistesgegenwart besitzt, zum Smartphone zu greifen, um sich zu filmen, das Video nachträglich zu bearbeiten und mit trauriger Musik zu hinterlegen, um es schließlich online zu stellen und Reaktionen abzuwarten.« (S. 15)


Dieses Zitat bringt das zentrale Spannungsfeld auf den Punkt: den Widerspruch zwischen echter emotionaler Verzweiflung und der gezielten Inszenierung von Gefühlen.


In einer digitalen Welt, in der emotional aufgeladene Inhalte – besonders solche, die Leid und Schmerz ästhetisieren – für Klicks und Aufmerksamkeit sorgen, verschwimmen die Grenzen zwischen ehrlicher Verletzlichkeit und strategischer Selbstvermarktung.


Tiefpersönliche und schmerzhafte Momente werden oft nicht mehr nur individuell verarbeitet, sondern oft bewusst öffentlich zur Schau gestellt: die Kommerzialisierung von Leid.



Fazit:


Während andere Sach- und Fachbücher mit lebendigen Illustrationen, Infografiken und greifbaren Einblicken glänzen, bleibt diese Lektüre eher nüchtern und eindimensional. Statt einer facettenreichen Auseinandersetzung reiht es Warnungen aneinander, ohne Gegenperspektiven, persönliche Erfahrungen oder einen Ausblick auf mögliche Lösungen. Lehrreich? Vielleicht. Mitreißend? Leider nicht.


Wiesböcks Buch greift einen hochaktuellen Diskurs auf und bietet einen wertvollen Impuls für alle, die sich kritisch mit der Social-Media-Mental-Health-Kultur auseinandersetzen möchten.


Trotz starker Beispiele wirken einige Thesen unverbunden und lassen uns Leser mit Fragen zurück. Doch genau das macht den Reiz aus: Das Buch öffnet Fenster zu spannenden Gedanken, ohne sie vollständig zu durchdringen.


Wer auf der Suche nach frischen Denkanstößen ist und keine tiefgehende Analyse erwartet, wird hier fündig.



⭐⭐⭐⭐






• • •


кℓαρρєηтєχт:

//    Trauma, triggern, toxisch: Laura Wiesböck über die inflationäre Verwendung psychologischer Begriffe in Sozialen Netzwerken und über den Social-Media-Trend »Mental Health«
Lebenskrisen, emotionale Verletzungen und Phasen der Ineffizienz sind seit jeher Teil des Menschseins. Doch im digitalen Zeitalter zeigt sich eine immer größere Entschlossenheit, derartige Zustände krankhaft zu deuten. Social-Media-Plattformen sind voll mit psychiatrischen Diagnosen. Begriffe wie »Trauma«, »triggern« und »toxisch« werden inflationär verwendet. Eigen- und Fremddiagnosen gehen leicht von den Lippen. Wo aber liegt die Grenze zwischen Enttabuisierung und Verherrlichung? Präzise analysiert die Soziologin Laura Wiesböck die Ursachen und Folgen des Trends um »Mental Health«. Ein zeitgemäßes Buch und ein Plädoyer für das Aushalten emotionaler Ambivalenzen. //


 

Nicht verpassen: Das wird dich auch interessieren 👉




Dieser Beitrag enthält Affiliate-Links.
 
Wir sehen uns auf Pinterest!
Dir gefällt mein Content? Dann supporte mich & wenn du Lust hast, spendiere mir einen Matcha Chai Latte. ☕
Beitrag: Blog2_Post

©2020-2024 by Olivia Grove

bottom of page