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AutorenbildOlivia Grove

[𝗚𝗼𝘀𝘁-đ—„đ—Čđ˜‡đ—¶] Mareike Fallwickl: Und alle so still | Rezension - Gastbeitrag von Rezensurensohn

《 G A S T - R E Z I ~ Gastbeitrag von Rezensurensohn 》

Mareike Fallwickl: Und alle so still  VÖ: 16.04.2024, Rowohlt


Mareike Fallwickl: Und alle so still

VÖ: 16.04.2024, Rowohlt ‱ ‱


Schnallt euch wieder einmal an!


Es folgt eine Gastrezension von the one and only REZENSURENSOHN !


 


Mareike Fallwickl - Und alle so still


Ja ... ich nöcht. Die mit Abstand am hÀufigsten gestellte Frage im Bezug darauf, warum ich den neuen Fallwickl Roman lese, war:


Wenn du sie so scheiße findest, warum liest du es dann?


Das möchte ich gerne lang und weitschweifend beantworten, so als alter, weißer Mann mit krassem GeltungsbedĂŒrfnis.


ZunĂ€chst fehlt mir bei der Frage ein wenig die TrennschĂ€rfe, denn sie setzt die Person mit ihrem schriftstellerischen Werk gleich. Dass man diese Tatsache bei Fallwickls BĂŒchern zumindest in gewissen Punkten annehmen kann, ist sicherlich richtig, ich kann aufgrund dieser Tatsache die Person Mareike Fallwickl aber nicht scheiße finden, einfach, weil ich sie nicht kenne.


Was ich kritisieren kann und in den meisten FĂ€llen auch konsequent erledige, sind ihre Tropes und Talking Points, mit denen ich nicht immer ĂŒbereinstimme, aber das ist ja auch kein Muss.


Ich schĂ€tze zum Beispiel die Tatsache, dass sich Fallwickl in ihren Romanen tatsĂ€chlich die MĂŒhe macht, immer noch eine Stufe draufzusetzen. Es bringt nix, drumrum zu reden, die in den BĂŒchern von Autorinnen genutzten Topoi sind, zumindest was Bookstagram angeht, ebenso ad nauseam durchgekaut wie die ihrer alten, mĂ€nnlichen Kollegen. Die mitunter bemĂŒht wirkend implementierte Message konterkariert nicht selten den schriftstellerischen Input.


Fallwickl jedenfalls bekommt es in den meisten FĂ€llen gut hin (nicht selten auch mit etwas Gewalt oder absurd hyperbelisierten Reaktionen), einen Roman nicht verflachen zu lassen. Wenn ich ein Buch von ihr lese, ist es halt eindrĂŒcklicher. Fallwickl schafft es außerdem in "Und alle so still" mit einer großen Akuratesse, den Alltag in einem Krankenhaus einzufangen. Die Erlebnisse von Ruth und Nuri decken sich mit vielen Geschichten und wer mitbekommen hat, dass in Berlin eine Pflegerin die Polizei rufen musste, weil sie allein fĂŒr 147 Leute verantwortlich war, der weiß, wie am Arsch das System ist.


SĂ€mtliche Mitarbeiter*Innen sind Prisoners of Love, ohne Ausnahme. Dass der im Buch beschriebene Liegestreik ein Erfolg wĂ€re, wĂŒnschen sich sicher die meisten. RealitĂ€t aber wĂ€ren: Tote und Job- und Kontrollverluste.


Dass ich dieses Buch lesen wollte, hatte gleich mehrere GrĂŒnde.

Zum einen lesen @wien_erleserin, @mari_liest und ich die Fallwickl BĂŒcher immer im Buddyread, zum anderen amĂŒsieren die beiden sich immer prĂ€chtig, weil mir meist nach wenigen Seiten der Arsch platzt. 


Außerdem hatte ich erst vor kurzem ein Sachbuch gelesen, in welchem sich Fallwickl zum Thema MĂ€nner und Feminismus geĂ€ußert hat. Dies bezog sich im weitesten Sinne auf das Aufwachsen ihres Sohnes in einer patriarchal geprĂ€gten Gesellschaft und ihren scheinbar sinnlosen Kampf dagegen. Und da wollte ich dann doch unbedingt in der ersten Reihe sitzen.


Beginnen wir unsere Geschichte mit Elin, die in einer wohltemperiert geschriebenen WerbebroschĂŒre fĂŒr ein Thermalbad (und das liest sich wirklich so als wĂŒrde im Hintergrund jemand bald ganz leise "Relaxation. Fragrance for Women. By LancĂŽme." murmeln) vor sich hin schwimmt, allein mit ihren Gedanken. (Es ist nicht wirklich eine WerbebroschĂŒre, liest sich aber so)


Elin hat den heute ĂŒblichen "I show my Anti Patriarchy Vibes mit dem Je kĂŒrzer desto ich hab Recht-Pony"-Schnitt. Fallwickl weiß das aber auch, deshalb schreibt sie es ja. Voll edgy. Elin ist Influencerin und hat ca. 1,2 Millionen Follower*Innen.


Jedenfalls bekommen wir nach einem kurzen GesprĂ€ch mit der recht unkonventionell gehaltenen Mutter, dem man definitiv anmerkt, dass es der Autorin ein Anliegen war, möglichst viel plakativen Feminismus unterzubringen, einen Handlungsstrang, den ich mit massivem, aus dem letzten Flöz meines zermĂŒrbten Hirns gefördertem Wohlwollen als "Sexpositiv" bezeichnen möchte.

Wobei "möchte" es hier eigentlich nicht ganz trifft. Dass Frauen Sex haben und daran mitunter auch Spaß haben (Weil es ja den Gender Orgasm Gap gibt) sollte ja fĂŒr die meisten Menschen nix neues sein, es in jedem Buch mittlerweile kontextlos prĂ€sentiert zu bekommen aber auch nicht. (Wobei auch das natĂŒrlich spĂ€ter aufgelöst wird. Zwei Lösungswege aus dem fallwickl'schen Kosmos hatte ich im Kopf, der zweite war es dann. Naja.)


Nuri dagegen hustlet hart. Nicht nur, weil er der einzige Mann in einem Fallwickl Roman ist, der mit vergleichsweise viel Handlung gesegnet wurde (deshalb hat er auch mindestens zur HĂ€lfte eine Migrationsgeschichte, sorry aber den Punkt muss ich endlich mal anbringen, und hier geht es mir nicht um die ReprĂ€sentation von MigrationshintergrĂŒnden, die sind definitiv immer gewĂŒnscht, der zweite fĂŒr mich wichtige Punkt wĂ€re ein Spoiler, daher an dieser Stelle nicht), sondern auch, weil er Geld verdienen muss, um endlich sein liebloses Zuhause verlassen zu können. DafĂŒr ist ihm jeder Job Recht. Allerdings gibt es fĂŒr ihn kaum mehr als selbst die prekĂ€rsten Dumpinglohn Jobs. Hilfe anzunehmen ist ihm völlig fremd, angenommen mĂ€nnliche Verhaltensmuster allerdings zum grĂ¶ĂŸten Teil auch.


Nuri ist Teil meiner beiden Auflösungswege fĂŒr die Elin Problematik und ich hatte anfangs ein großes Zutrauen zu Nuri als Figur, auch weil ich dachte mhm, ja endlich, weiter so. Ja und dann ... pfrrrrrt.


Ruth dagegen hat einen weitaus grĂ¶ĂŸeren Wortschatz als ihr Bruder aus "Guardians of the Galaxy", ist aber dafĂŒr auch eine richtige Maschine. Sie arbeitet in der Pflege und ich hatte endlich mal etwas in einem Fallwickl Roman, mit dem ich (auch hier leider nur grĂ¶ĂŸtenteils) relaten konnte. Ruth gibt alles fĂŒr den Job. So wie es die ganzen Uschis, Sabines, Bozenas, Marias jeden Tag ĂŒberall in Deutschland tun. Sie verzweifelt am System, am Tod ihres Sohnes und an der Einsamkeit. Gut, als Pflegekraft ist das mit dem Privatleben ein Drahtseilakt. Viele von uns sind irgendwann einsam.


Wir werden Jahr fĂŒr Jahr und StĂŒck fĂŒr StĂŒck immer ein bisschen weiter aus unserem Freundeskreis herausgearbeitet und wenn wir es doch mal schaffen, schlafen wir halb.


Allerdings, wie sollte es anders sein, habe ich auch zu diesem Buch meine Kritikpunkte. Fern der Tatsache, dass sich Fallwickl entschlossen hat, eine derart große Vielfalt an Topoi einzustreuen, dass sie sich vermutlich auf das Manuskript werfen musste um es in einen Umschlag zu kriegen, beginnt sie außerdem, zu bestimmten Gelegenheiten im Buch, sanft vor sich hin zu pilchern.


Vor allem Ruth und Elin haben ein absolutes weirdes NĂ€hebedĂŒrfnis, die Szenerie verwandelt sich in absoluten Cozy-Kitsch und ich denk mir jo, MĂ€nner sind ja alle immer kindisch, aber die benehmen sich wie kurz nach der Geburt. Dieses mangamĂ€ĂŸige Power of Friendship Geblubber. Ich habe tatsĂ€chlich darauf gewartet, dass jemandes Uterus leuchtet oder der Satz fĂ€llt "Ich wĂŒrde voll gerne in deine GebĂ€rmutter kriechen und dort in Embryonalhaltung weinen". Antifeministisch von mir, oder? Auf eine Art natĂŒrlich. Die Welt ist aber nunmal nicht das Einhornkuschelparadies und man kann Menschen nicht unter Zwang und massivem psychologischen Druck dazu bringen, einander zu supporten. WĂŒnschenswert, der Support, klar. Aber wenn man zu mir jetzt sagt, du hast gefĂ€lligst Menschen zu mögen, die einen Penis haben und solidarisch zu sein, selbst wenn es die grĂ¶ĂŸten Rachenkacker sind - sorry da bin ich raus.


Das ganze Thema ist dermaßen breit, ich mĂŒsste eigentlich ein eigenes Buch dazu schreiben. Feminismus Mansplained Eingestreute Dialoge ĂŒbersteuern komplett, als beispielsweise Marta Elin zu ihrer Oma schickt, so nach dem Motto "Das ist jetzt komplett random, aber deine Omma, die ich wie den Rest der Familie aus meinem Leben gestrichen habe, weil ich so krass edgy bin und die du ĂŒberhaupt nicht kennst, liegt auf irgendeiner Straße. Besuch sie doch mal."


Die Auflösung dieser familiĂ€ren KalamitĂ€ten war ĂŒbrigens mit das enttĂ€uschendste am gesamten Buch.


Fallwickl schafft sich mit diesem Buch eine eigene Utopie, ich sage bewusst nicht Dystopie. Die Dinge, die in diesem Buch stehen, sind fĂŒr viele Menschen vollkommen wĂŒnschenswert. Ein kompletter Zusammenbruch des Systems, bei dem, anders als im Buch, in der RealitĂ€t tatsĂ€chlich niemand gewinnen wĂŒrde. Weder MĂ€nner noch Frauen, denn Fallwickl denkt ihr Szenario nicht final zu Ende, sondern versieht es mit dem fĂŒr sie wĂŒnschenswerten Ende.


In einem einzigen Satz steckt zumindest ein bisschen Hoffnung, nĂ€mlich nicht, dass Frauen aufhören sollen, sich zu kĂŒmmern und da zu sein, sondern, dass MĂ€nner endlich damit anfangen sollen. Zumindest das lĂ€sst tatsĂ€chlich darauf schließen, dass Gleichberechtigung möglich ist, wenn MĂ€nner mitziehen und sie werden ausnahmsweise nicht per se als Erzfeind dargestellt.


Wir haben uns in der Gruppe stundenlang die Zungen brandig diskutiert, haben uns ausgetauscht und angemoppert und wir alle wollen Mareike Fallwickl zugestehen, dass sie mit ihrem Buch etwas angeregt hat, denn die Fragen und möglichen Szenarien in unseren Köpfen hörten nicht auf. Inklusive eines potentiellen neuen Romans, "Die Ruth die bleibt", ein Ruth Spinoff, in welchem sie badass like eine 8 Wochen Schicht auf Speed durchzieht ohne einmal abzusetzen.


Wir haben ausschweifende Diskussionen darĂŒber gefĂŒhrt, ob sich bei Gleichberechtigung endlich der so lang erwartete Frieden zwischen den Geschlechtern einsetzt und sind zu dem Schluss gekommen: Wahrscheinlich nicht.


Wir machen einfach das 4B Gedöns aus SĂŒdkorea, nur mit Gleichberechtigung. Wir rotten uns einfach gegenseitig aus durch Unterlassung. Passiert den besten Spezies. Bloß nicht einen Schritt auf den anderen zugehen, und wenn doch, merken dass einem 50% noch immer zu wenig sind und weiter steilgehen.


Die LektĂŒre hat uns einigermaßen erschöpft und die Angst einer drohenden Leseflaute ist real.


Fazit:

Mareike Fallwickl hat erneut ein Buch geliefert, das provozieren und polarisieren soll. Im Gegensatz zu "Die Wut die bleibt" ist ihr das mit diesem Buch nicht gelungen, zu entfernt ist die Handlung vom tatsÀchlichen Erleben unserer Lesegruppe.


Nimmt man die reinen feministischen Tropes, kommt es an momentan publizierten SachbĂŒchern nicht vorbei, stilistisch wird der Mix aus dem letzten Roman auf die Spitze getrieben, was sich auch in den teils schwachen Dialogen widerspiegelt.


Das von der Autorin entworfene Szenario ist leider sehr schlĂŒssig, ich finde es allerdings schwach umgesetzt.

Ich vermute, dass ich im Gegensatz zum VorgÀnger dieses Buch quasi mit dem Einstieg in das nÀchste vergessen haben werde.


Ich weiß, mit dieser Meinung stehe ich weitestgehend allein da. Und ich sage auch nicht, dass feministische BĂŒcher per se schlecht sind. Ihr wisst: ich lese die. Aber das hier ist nicht der neue Parmesan. Und das ist auch ĂŒberhaupt nicht tragisch.


Ich kann nach LektĂŒre dieses Buches sagen:

Es war mein letztes Fallwickl Buch.


FĂŒr Menschen wie mich gibt es in ihren Welten keinen Platz, also breche ich auf in andere. Frieden fĂŒr uns beide.


2 von 5. Erschienen bei Rowohlt. Alle Rechte bei Autorin und Verlag.


 

Review written by Rezensurensohn.



⭐⭐



‱ ‱ ‱


Đșâ„“Î±ÏÏŃ”Î·Ń‚Ń”Ï‡Ń‚:

//     Ein großer feministischer Gesellschaftsroman ĂŒber Widerspruchsgeist und SolidaritĂ€t 

An einem Sonntag im Juni gerĂ€t die Welt aus dem Takt: Frauen liegen auf der Straße. Reglos, in stillem Protest. Hier kreuzen sich die Wege von Elin, Nuri und Ruth. Elin, Anfang zwanzig, eine erfolgreiche Influencerin, der etwas zugestoßen ist, von dem sie nicht weiß, ob es Gewalt war. Nuri, neunzehn Jahre, der die Schule abgebrochen hat und versucht, sich als Fahrradkurier, Bettenschubser und Barkeeper ĂŒber Wasser zu halten. Ruth, Mitte fĂŒnfzig, die als Pflegefachkraft im Krankenhaus arbeitet und deren PflichtgefĂŒhl unerschöpflich scheint.
Es ist der Beginn einer Revolte, bei der Frauen nicht mehr das tun, was sie immer getan haben. Plötzlich steht alles infrage, worauf unser System fußt. Ergreifen Elin, Nuri und Ruth die Chance auf VerĂ€nderung?    //

 

Hier gibt es eine weitere 𝗚𝗼𝘀𝘁-đ—„đ—Čđ˜‡đ—¶ von Rezensurensohn
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